EntscheidungenIm Lebensmittelrecht haben verschiedene Gerichte bedeutende Entscheidungen getroffen, die die Auslegung und Anwendung von Vorschriften wie der Lebensmittelinformationsverordnung (LMIV), der Health-Claims-Verordnung (HCVO), der Diätverordnung, Regelungen zu Zusatzstoffen, Nahrungsergänzungsmitteln (NEM), Novel Food, dem Weinrecht, Compliance, Lebensmittelkrisen, Bedarfsgegenständen und Futtermitteln betreffen. Im Folgenden werden einige dieser Entscheidungen mit Angabe des Gerichts, Datums und Aktenzeichens vertieft dargestellt. 1. Lebensmittelinformationsverordnung (LMIV)EuGH, Urteil vom 1. Dezember 2022, Rs. C-595/21 Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied, dass der Begriff „Produktname“ in Anhang VI Teil A Nr. 4 der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 (LMIV) und die „Bezeichnung des Lebensmittels“ in Artikel 17 LMIV dieselbe Bedeutung haben. Dies bedeutet, dass die besonderen Kennzeichnungsvorschriften für den „Produktnamen“ auch für die „Bezeichnung des Lebensmittels“ gelten. Im konkreten Fall ging es um die Kennzeichnung des Produkts „BiFi The Original Turkey“, bei dem die Austauschzutat in unmittelbarer Nähe zum Produktnamen angegeben werden musste. FGVW 2. Health-Claims-Verordnung (HCVO)EuGH, Urteil vom 6. September 2012, Rs. C-544/10 In der Rechtssache Deutsches Weintor eG gegen Land Rheinland-Pfalz entschied der EuGH, dass die Bezeichnung eines Weins als „bekömmlich“ eine gesundheitsbezogene Angabe im Sinne der HCVO darstellt. Solche Angaben sind nur zulässig, wenn sie den Anforderungen der Verordnung entsprechen, insbesondere wenn sie auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren und zugelassen sind. 3. DiätverordnungBundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 25. Juli 2013, Az. 3 C 23.12 Das BVerwG entschied, dass ein Produkt nur dann als diätetisches Lebensmittel eingestuft werden kann, wenn es aufgrund seiner besonderen Zusammensetzung oder Herstellungsweise für die ernährungsphysiologischen Bedürfnisse einer bestimmten Personengruppe geeignet ist. Im vorliegenden Fall wurde die Einstufung eines Produkts als diätetisches Lebensmittel abgelehnt, da es nicht den spezifischen Anforderungen entsprach. 4. ZusatzstoffeEuGH, Urteil vom 12. März 1987, Rs. 178/84 In der Rechtssache Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Bundesrepublik Deutschland befasste sich der EuGH mit dem deutschen Reinheitsgebot für Bier, das den Zusatz von Stoffen in Bier verbot. Der Gerichtshof stellte fest, dass dieses Verbot eine unzulässige Handelsbeschränkung darstellt und nicht mit dem EU-Recht vereinbar ist. Dies führte zu einer Anpassung der nationalen Vorschriften an die europäischen Regelungen. 5. Nahrungsergänzungsmittel (NEM)Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 16. April 2015, Az. I ZR 27/14 Der BGH entschied, dass die Aufnahme eines Nahrungsergänzungsmittels in den Novel-Food-Katalog die nationalen Gerichte nicht bindet. Zudem stellte er fest, dass aus dem Status „FS“ (Further Assessment) im Novel-Food-Katalog nicht folgt, dass das Produkt bereits vor dem 15. Mai 1997 in der EU in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurde. NWB Datenbank 6. Novel FoodEuGH, Urteil vom 9. November 2016, Rs. C-448/14 In der Rechtssache Davitas GmbH gegen Stadt Aschaffenburg entschied der EuGH, dass ein Lebensmittel, das vor dem 15. Mai 1997 nicht in nennenswertem Umfang in der EU für den menschlichen Verzehr verwendet wurde, als neuartiges Lebensmittel (Novel Food) einzustufen ist. Für das Inverkehrbringen solcher Lebensmittel ist eine Zulassung gemäß der Novel-Food-Verordnung erforderlich. 7. WeinrechtEuGH, Urteil vom 7. Mai 2009, Rs. C-150/08 In der Rechtssache Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH gegen Österreichischer Rundfunk entschied der EuGH, dass nationale Vorschriften, die den Vertrieb von Weinen mit bestimmten geografischen Angaben beschränken, mit dem EU-Recht vereinbar sein können, sofern sie dem Schutz der Verbraucher und der Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs dienen. 8. ComplianceBundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 9. Mai 2017, Az. KZR 39/16 Der BGH betonte die Bedeutung von Compliance-Systemen in Unternehmen. Er stellte fest, dass ein funktionierendes Compliance-System ein Indiz dafür sein kann, dass ein Unternehmen seiner Ãœberwachungspflicht nachgekommen ist. Im vorliegenden Fall ging es um die Haftung eines Unternehmens für Kartellverstöße seiner Mitarbeiter. 9. LebensmittelkrisenEuGH, Urteil vom 5. Mai 1998, Rs. C-157/96 In der Rechtssache Verein gegen Unwesen in Handel und Gewerbe Köln e.V. gegen Mars GmbH entschied der EuGH, dass die Mitgliedstaaten im Falle einer Lebensmittelkrise Maßnahmen ergreifen dürfen, die den freien Warenverkehr beschränken, sofern diese Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit erforderlich und verhältnismäßig sind. 10. BedarfsgegenständeBundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 17. Oktober 2013, Az. I ZR 173/12 Der BGH entschied, dass die Kennzeichnung von Bedarfsgegenständen, die mit Lebensmitteln in Berührung kommen, klar und verständlich sein muss. Im vorliegenden Fall ging es um die Kennzeichnung von Grillanzündern, bei denen unklar war, Nach Themen sortierte Urteile - zumindest in Leitsätzen - sind auf den folgenden Seiten dargestellt. Neben den Leitsätzen finden sich teils Sachverhaltszusammenfassungen sowie Urteilsanmerkungen. Anmerkungen geben unsere Auffassung wieder und können keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Bedenken Sie bitte stets, dass jedem Urteil, selbst einem höchstrichterlichen, ein bestimmter Einzelfall zugrunde liegt. Verallgemeinerungen sind daher in der Regel weder möglich noch sinnvoll. Vielmehr erscheint häufig eine Ãœberprüfung des individuellen Sachverhalts sinnvoll. Eine solche Prüfung kann ein Anwalt Ihres Vertrauens leisten. Entscheidungen zum Lebensmittelrecht (mit Gesundheitsrecht, Arzneimittelrecht): - Nach EuGH vom 30. April 2009 C27/08 - Bios Naturprodukte ist Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der durch die Richtlinie 2004/27/EG geänderten Fassung dahin auszulegen, dass ein Erzeugnis, das einen Stoff enthält, der in einer bestimmten Dosierung eine physiologische Wirkung hat, kein Funktionsarzneimittel ist, wenn es in Anbetracht seiner Wirkstoffdosierung bei normalem Gebrauch gesundheitsgefährdend ist, ohne jedoch die menschlichen physiologischen Funktionen wiederherstellen, korrigieren oder beeinflussen zu können.
- Gemäss EuGH vom 15. Januar 2009 C383/07 - Neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten: Der Umstand, dass alle Zutaten eines Lebensmittels für sich genommen die Voraussetzung des Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 258/97 erfüllen oder unbedenklich sind, reicht nicht dafür aus, die Anwendung dieser Verordnung auf das erzeugte Lebensmittel auszuschließen. Die Entscheidung, ob dieses als neuartiges Lebensmittel im Sinne der Verordnung Nr. 258/97 einzustufen ist, ist von der zuständigen nationalen Behörde für jeden Einzelfall unter Berücksichtigung aller Merkmale des Lebensmittels und des Herstellungsverfahrens zu treffen. Ausschließlich außerhalb Europas erworbene Erfahrungen hinsichtlich der Unbedenklichkeit eines Lebensmittels reichen nicht für die Feststellung aus, dass dieses unter die Gruppe der Lebensmittel fällt, die im Sinne des Art. 1 Abs. 2 Buchst. e der Verordnung Nr. 258/97 „erfahrungsgemäß als unbedenkliche Lebensmittel gelten können“.
- Nach BGH URTEIL I ZR 61/05 26. Juni 2008 - LCarnitin II gilt folgendes für die Abgrenzung Nahrungsmittel/ Arzneimittel: a) Der Begriff des Funktionsarzneimittels erfasst allein diejenigen Erzeugnisse, deren pharmakologische Eigenschaften wissenschaftlich festgestellt wurden und die tatsächlich dazu bestimmt sind, eine ärztliche Diagnose zu erstellen oder physiologische Funktionen wiederherzustellen, zu bessern oder zu be-einflussen (im Anschluss an EuGH GRUR 2008, 271 Tz. 60 und 61 - Knoblauchkapseln). b) Ein Erzeugnis, das einen Stoff enthält, der auch mit der normalen Nahrung aufgenommen wird, ist nicht als Arzneimittel anzusehen, wenn durch das Erzeugnis keine gegenüber den Wirkungen bei normaler Nahrungsaufnahme nennenswerte Einflussnahme auf den Stoffwechsel erzielt wird (im Anschluss an EuGH GRUR 2008, 271 Tz. 67 und 68 - Knoblauchkapseln).
- BGH BESCHLUSS 3 StR 526/07 vom 27. März 2008 - LFGB
- EuGH (Erste Kammer) C-319/05 Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Bundesrepublik Deutschland vom 15.11.2007 - Knoblauchkapseln : Ein Erzeugnis wird dann im Sinne der Richtlinie 2001/83 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel „als Mittel zur Heilung oder zur Verhütung von menschlichen Krankheiten bezeichnet“, wenn es, gegebenenfalls auf dem Etikett, dem Beipackzettel oder mündlich, ausdrücklich als ein solches „bezeichnet“ oder „empfohlen“ wird sowie stets dann, wenn bei einem durchschnittlich informierten Verbraucher auch nur schlüssig, aber mit Gewissheit der Eindruck entsteht, dass das Erzeugnis in Anbetracht seiner Aufmachung die betreffenden Eigenschaften haben müsse. Mangels Erfüllung der in Art. 1 Nr. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 2001/83 festgelegten Kriterien lässt sich als Arzneimittel nach der Bezeichnung im Sinne dieser Richtlinie nicht ein Knoblauchpräparat in Form von Kapseln einstufen, das – sei es auf dem Etikett, durch die Angaben auf der Verpackung oder in sonstiger Weise – weder als ein Mittel zur Heilung oder zur Verhütung von menschlichen Krankheiten bezeichnet noch als ein solches empfohlen wird und dessen Aufmachung keinen Aspekt aufweist, der bei einem durchschnittlich informierten Verbraucher ein Vertrauen wie dasjenige hervorrufen könnte, das Arzneimittel normalerweise erwecken, so dass die Aufmachung als Kapseln der einzige Aspekt des Erzeugnisses ist, der für seine Einstufung als Arzneimittel nach der Bezeichnung sprechen könnte. Die einem Erzeugnis gegebene äußere Form kann nämlich, auch wenn sie ein wichtiges Indiz für die Absicht des Verkäufers oder Herstellers ist, das Erzeugnis als Arzneimittel in den Handel zu bringen, kein allein ausschlaggebendes Indiz sein, da andernfalls bestimmte Nahrungsmittel erfasst würden, die herkömmlicherweise in ähnlicher Form wie Arzneimittel aufgemacht sind. Die Kapselform ist jedoch nicht für Arzneimittel spezifisch, da zahlreiche Lebensmittel ebenfalls in dieser Form angeboten werden, um dem Verbraucher ihren Verzehr bequemer zu machen. Dieses Indiz kann folglich allein nicht genügen, um einem Erzeugnis die Eigenschaft eines Arzneimittels nach der Bezeichnung zu verleihen.
- Abgrenzung Lebensmittel vs. Arzneimittel zugunstem Letzterem im Fall eines Fittness-Produkts (Beschluss des OLG Celle vom 24.06.1999 zu 13 O 320/98).
- DocMorris (EuGH): Das deutsche Verbot der Internetapotheke ist hinsichtlich des Versandhandels mit nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten europarechtswidrÃg.
- Musikelaufbaupräparate (BGH I ZR 34/01 - Muskelaufbaupräparate wg. UWG § 1; AMG § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 5, §§ 21, 73 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 6a; HWG § 3a; LMBG § 1 Abs. 1, EWGRL 65/65 Art. 1 Nr. 2; EGRL 83/2001 Art. 1 Nr. 2, Art. 128; EGRL 7/97 Art. 14; EG VO 178/2002 Art. 2 Abs. 3 Buchst. d ): Die Abgrenzung der Arznei- von den Lebensmitteln steht auch nach dem Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zum gemeinschaftsrechtlichen Arzneimittelbegriff.
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